Mit ihrer Forschung haben sie wesentliche Grundlagen für die Immuntherapie gegen Krebs gelegt. Gestern wurden Gordon Freeman und Arlene Sharpe von der UZH mit dem erstmals verliehenen Gretener-Thürlemann Preis ausgezeichnet.
von Adrian Ritter, freier Journalist
Wenn zwei sich finden, kann Grosses entstehen. Gordon Freeman und Arlene Sharpe sind ein leuchtendes Beispiel dafür. Die beiden US-Forschenden sind seit 1978 verheiratet und forschen gleichzeitig seit den 1980er-Jahren gemeinsam an einer der grossen Fragen der Medizin: Wie steuert unser Körper das Immunsystem und wie lässt sich das therapeutisch nutzen? Sie haben bedeutende Beiträge zur Klärung dieser Frage geleistet und wurden schon mehrfach mit Preisen ausgezeichnet.
Gestern durften sie im Hotel Baur au Lac in Zürich eine weitere Auszeichnung dafür entgegennehmen: die Universität Zürich (UZH) verlieh ihnen den Gretener-Thürlemann Preis. Die in diesem Jahr erstmals vergebene und mit 500’000 Franken dotierte Auszeichnung wird an Forschende weltweit für herausragende Leistungen in den Bereichen Medizin, Physik oder Chemie verliehen (vgl. Kasten). Gordon Freeman und Arlene Sharpe erhalten den Preis für ihre medizinische Forschung, die massgeblich dazu beigetragen hat, Immuntherapien gegen Krebs zu entwickeln – die sogenannten Immuncheckpoint-Inhibitoren.
«Dieser Preis entspricht dem Willen und Wunsch der beiden Stifter, die damit über ihr Leben hinaus die Wissenschaft stärken», sagte Roger Dall’O, Präsident des Stiftungsrats der Gretener-Thürlemann Stiftung. UZH-Rektor Michael Schaepman betonte in seiner Ansprache, dass die Forschung von Sharpe und Freeman in besonderer Weise Innovation und Wirkung verkörpere.
Begegnung im Deutschkurs
Angefangen hat ihr gemeinsamer Weg mit der geteilten Begeisterung für Naturwissenschaften. Arlene Sharpe experimentierte schon als Kind mit Pflanzen, Gordon Freeman war in einem Schülerlabor aktiv und untersuchte Zellen und Bakterien. Aus verschiedenen Bundesstaaten der USA kommend, lernten sie sich zu Beginn ihrer Studienzeit an der Harvard University kennen – im Deutschkurs. Beide waren sich noch nicht sicher, ob sie den Weg in Richtung Biologie oder Chemie einschlagen wollen. Klar war für sie aber: «Wir wollten die Werke bedeutender Forschender auch in der Originalsprache lesen – etwa die Werke von wichtigen deutschen Chemikern», blicken die beiden zurück.
Nach der Begegnung im Deutschkurs zum Paar geworden, gingen sie auch akademisch ähnliche Wege. Beide studierten Biochemie/Molekularbiologie und doktorierten in Mikrobiologie und Molekulargenetik. Arlene Sharpe schloss dem noch ein Medizinstudium an. Eine weitere gemeinsame Erfahrung sollte für ihre berufliche Zukunft wichtig werden: Beide verloren ihre Mütter an Krebs. Das motivierte sie zusätzlich, sich später vor allem der medizinischen Forschung zuzuwenden.
Die Voraussetzungen dafür waren gut. Es war die Zeit nach dem «Sputnik-Schock» von 1957 – die Sowjetunion hatte die USA mit ihrem ersten Satelliten technologisch überholt. Deshalb flossen in den folgenden Jahrzehnten grosse Geldmengen in Bildung, Forschung und Technologie. Auch der Kampf gegen Krebs («War on Cancer») war ab 1971 ein grossangelegtes staatliches Programm. Technologische Fortschritte ermöglichten neue Einblicke in die Entstehung von Tumoren und die Wirkungsweise unseres Immunsystems. So wurde es etwa möglich, Gene zu isolieren und im Tiermodell spezifische Gene gezielt auszuschalten, um den Effekt auf das Immunsystem zu erforschen.
Auf dem gemeinsamen Weg
Gordon Freeman und Arlene Sharpe waren und sind vorne mit dabei, solche Technologien zu nutzen. Ihre Expertisen und Interessen ergänzen sich dabei bis heute hervorragend: «Arlene ist unter anderem sehr gut darin, Gentechnologien wie CRISPR zu nutzen. Zu meinen Expertisen gehört es, Antikörper herzustellen», sagt Freeman. Schon lange besitzen beide ihre eigenen Forschungsgruppen in Boston. Sharpe ist Professorin und Vorsteherin des Departments für Immunologie an der Harvard Medical School. Freeman ist Professor für Medizin am Dana-Farber Cancer Institute und der Harvard Medical School.
Ihre beiden Labore liegen nur einen zehnminütigen Fussweg voneinander entfernt. «Und zwischen unseren Forschungsteams besteht ein Pingpong an Wissen auf dem Weg zu neuen Erkenntnissen», sagt Sharpe. «Wir haben beide unsere eigenen Projekte, aber ich schätze, diese überschneiden sich zu etwa 30 Prozent», sagt Freeman. Und der übergeordneten Frage nach der Steuerung des Immunsystems sind sie ohnehin in all ihren Aktivitäten treu geblieben. Dabei sind sie in ihrer Forschung zusätzlich mit zahlreichen Universitäten und Universitätskliniken in Boston, den USA und weltweit vernetzt.
Zu den herausragenden Leistungen, für die Arlene Sharpe und Gordon Freeman mit dem Gretener-Thürlemann-Preis ausgezeichnet wurden, gehört, dass sie ab den 1990er-Jahren wichtige Signalwege entdeckten, welche die Immunantwort gegen Tumoren hemmen. Eine wichtige Rolle spielen dabei die T-Zellen des Immunsystems. Sie besitzen an ihrer Oberfläche Proteine, welche die Aktivität der T-Zellen anregen oder hemmen – dazu gehört das Protein PD-1.
Freeman und Sharpe entdeckten, dass PD-1 mit den Proteinen PD-L1 und PD-L2 interagieren kann, welche unter anderem von Krebszellen erzeugt werden. Die Krebszellen wollen mit diesen sogenannten Inhibitoren die Immunantwort bremsen. Auch bestimmte Immunzellen produzieren PD-L1 und PD-L2. Damit steuern sie die Aktivität der T-Zellen so, dass eine Immunantwort weder zu stark noch zu schwach ausfällt. Denn bei einer zu starken Antwort könnte auch gesundes Gewebe zerstört werden. Umgekehrt könnte eine zu schwachen Immunreaktion dazu führen, dass eine Krankheit weiter bestehen bleibt.
Antikörper entwickeln
Um das Jahr 2000 zeichnete sich ab, dass sich dieses neue Wissen auch therapeutisch nutzen lässt: Blockiert man die Inhibitoren, wird das Immunsystem wieder aktiv gegen Krebszellen. Umgekehrt kann ein zu aktives Immunsystem durch eine Stärkung der Inhibitoren gebremst werden – etwa um Autoimmunkrankheiten zu dämpfen oder Abstossungsreaktionen nach Organtransplantationen zu verhindern. Der nächste Schritt bestand darin, Antikörper zu entwickeln, um die entsprechenden Proteine zu beeinflussen. In der Onkologie werden diese sogenannten Checkpoint-Inhibitoren heute bei mehr als 25 Krebsarten eingesetzt.
«Allerdings wirkt diese Immuntherapie noch längst nicht bei allen Patientinnen und Patienten», sagt Freeman. Deshalb gehe es jetzt darum, die Signalwege des Immunsystems noch weiter zu entschlüsseln und weitere daran beteiligte Gene und Moleküle zu entdecken. Die Aussichten dafür stehen gut. «Neue Technologien wie die Einzelzellanalyse und Künstliche Intelligenz erlauben es, die Vorgänge bei Krebs noch besser zu verstehen und neuartige Therapien zu entwickeln», sagt Sharpe. Und Freeman ergänzt: «Ich bin überzeugt, dass sich in den nächsten Jahren die Erfolgsrate bei Immuntherapien und weiteren Anwendungen etwa gegen Autoimmunkrankheiten Schritt für Schritt weiter steigen wird. Es gibt vielversprechende neue Ansätze und es laufen zahlreiche klinische Studien.»
Für Grundlagenforschung begeistern
Arlene Sharpe und Gordon Freeman sind weiterhin massgeblich an der entsprechenden Forschung beteiligt. Sie machen damit nicht nur Patientinnen und Patienten Hoffnung, sondern begeistern auch Studierende und Nachwuchsforschende. «Wir wussten zu Beginn nicht, wohin uns unsere Forschung führen wird. Heute sehen wir, dass aus Grundlagenforschung Therapien entstehen, die wir uns nie erträumt hätten. Das motiviert junge Forschende sehr», freut sich Sharpe.
«Es freut uns riesig, diese Anerkennung stellvertretend für die Arbeit unserer Teams und aller beteiligten Forschenden zu erhalten», sagen beide. «Wir fühlen uns geehrt, die ersten Preisträger dieses wichtigen Preises zu sein.» Ihre gemeinsame Entdeckungsreise geht nun weiter. Dabei zeigen sie eindrücklich, dass grosse medizinische Fortschritte dort entstehen können, wo jemand schlicht das Leben verstehen will.
Weitere Informationen
Gordon Freeman, PhD
Professor of Medicine at Dana-Farber Cancer Institute and Harvard Medical School
Arlene Sharpe, MD, PhD
Kolokotrones University Professor at Harvard University and Chair of the Department of Immunology at Harvard Medical School



